Es war einige Zeit nach Beendigung des Zweiten
Weltkriegs, da entschloss sich die "Nationale Confederatie van
Politieke Gevangenen en Rechthebbenden van Belgie" der Gemeinde
Tielt in Westflandern ein Gedenkbild zur erstellen. Aufgenommen
werden sollten alle Opfer des Widerstandskampfes gegen die deutsche
Besatzung aus Tielt und den umgebenden Ortschaften. Als man die
Arbeit beendet hatte, enthielt der Rahmen die Portraits von 36
teilweise recht jungen Männern. An den Rändern fügte man vier Fotos
hinzu. Sie zeigen ein Fallbeil, ein Krematorium, den Trauerzug nach
der Überführung der Opfer und das Gräberfeld, auf dem sie bestattet
worden waren. Über den Portraits befindet sich der Schriftzug "Politieke
Gevangenen Gewest Tielt (West-VL)".
Zwischen den Fotos hat man ein Kreuz angebracht das von
folgendem Text umrahmt wird: "Terechtgesteld in Dortmund".
Terechtgesteld, das klingt, wenn man sich nur an dem
Lautmalerischen orientiert, relativ harmlos. Doch es bezeichnet
einen wenig harmlosen Vorgang, Terechtgesteld bedeutet hingerichtet.
Und für genau die Hälfte der abgebildeten Männer traf dies zu. Sie
verloren ihr Leben in Dortmund unter dem Fallbeil. Und so sind nicht
ohne Grund neben den Opfern die Fotos der Dortmunder Guillotine und
des "Brandoven van Dortmund", des Dortmunder Krematoriums,
angebracht.
Während in Dortmund der Opfer der Gestapo-Morde jedes
Jahr zu Karfreitag gedacht wird, sind die Opfer der Hinrichtungen
kaum bekannt. In Dortmund wurden während der NS-Zeit über 300
Personen von der Justiz durch das Handbeil, das Fallbeil und durch
Erschießen zu Tode gebracht. Ich habe in meinen Unterlagen die Namen
und Daten von 305 Personen erfasst. Die Mehrheit wurde im
Gerichtsgefängnis "Lübecker Hof" guillotiniert. Dort befand sich von
Juni 1943 bis Anfang Januar 1945 eine der offiziellen
Hinrichtungsstätten des Deutschen Reiches. Zeitweilig reiste der
Henker im Wochenrhythmus an.
Bevor ich mich dem eigentlichen Thema der Nacht- und
Nebelgefangenen aus Belgien zuwende, möchte ich erst eine
Ausführungen zur Geschichte Dortmunds als Hinrichtungsstätte machen
und zur Quellenlage machen.
Hinsichtlich der Quellenlage muss gesagt werden, dass die
mir vorliegenden Unterlagen teilweise unvollständig, teilweise
widersprüchlich und manche nachweislich falsch waren. Die
Justizbürokratie, aber auch die sonstigen damit befassten Behörden
haben teilweise recht schlampig bearbeitet: Namen wurden nach Gehör
niedergeschrieben, ganze Datenbereiche nicht ermittelt und in den
Urkunden nicht niedergelegt.
Hier besteht noch Forschungsbedarf, insbesondere
Vergleichsbedarf mit anderen Unterlagen, den ich erst in späterer
Zukunft abdecken kann.
Zur Hinrichtungsstätte:
Wie bereits erwähnt wurden während der NS-Zeit in
Dortmund mindestens 305 Personen hingerichtet und zwar 277 Männer
und 28 Frauen. Davon starben nach meinen Recherchen 5 durch das
Handbeil, 7 wurden wohl erschossen, bei weiteren 5 ist es fraglich,
ob sie erschossen oder geköpft wurden, die große restliche Mehrheit
starb unter dem Fallbeil, dass seit Mitte 1943 im Lübecker Hof
stand.
Zwischen den ersten Hinrichtungen der frühen NS-Zeit und
den späteren gab es mehrere Jahre, in denen in Dortmund keine
Hinrichtungen vollzogen wurden.
Die unterschiedlichen Hinrichtungsarten und
Hinrichtungszeiten haben etwas mit der Organisation der
Strafvollstreckung im Deutschen Reich zu tun.
Erste Jahre - Organisation wie in der Weimarer Zeit -
Landgerichte mussten die Vollstreckung der Urteile selbst
vollziehen.
Altpreußische Gebiete - Vollstreckung mit dem Handbeil.
In Dortmund 2 Hinrichtungstermine
30.8.1934 - 4 Personen, darunter zwei wegen politisch
motivierter Straftaten. Die politischen Urteile sind später nur
reduziert, nicht aber aufgehoben worden. (Buchhinweis)
26.2.1936 - ein Raubmörder
Danach kam es mehrere Jahre zu keinen weiteren
Hinrichtungen mehr in Dortmund.
Grund war eine Änderungen im bisherigen System der
Vollstreckung der Todesstrafe:
Bereits 1933 soll Hitler die Anfertigung von 20 Fallbeilen
angeordnet haben. Am 28. Dezember 1936 erließ der
Reichsjustizminister eine neue Bestimmung zur Vollstreckung der
Todesstrafe.
Es wurden dann 11 Vollzugsanstalten aufgeführt, in denen
Hinrichtungen vollzogen werden sollten, Das Dortmunder
Gerichtsgefängnis war nicht darunter, sondern unter Punkt g) hieß
es…..[Illustration]
Diese Aufstellung wurde dann noch mehrfach geändert, z.B.
im Sept. 1937, Juni 1940 und Herbst 1942. Die von Dortmunder
Gerichten verurteilten Todeskandidaten wurden aber weiterhin nach
Köln geschickt.
Mit dieser Regelung war man aber beim OLG in Hamm
unzufrieden. Während des Krieges kam es durch Einberufungen zu
Personalengpässen. Gleichzeitig stieg die Zahl der Delikte, die mit
der Todesstrafe belegt werden konnte erheblich an und damit die Zahl
der Todesurteile und der Hinrichtungen. Bei den Hinrichtungen musste
ein Staatsanwalt des erkennenden Gerichts und ein Urkundenbeamter
anwesend sein. Diese fielen durch die "Dienstreise" zum
Hinrichtungsort Köln immer für einen ganzen Tag und mehr aus. Man
wünschte eine eigene Richtstätte im Bereich des OLG. Man begann auf
eigene Faust Ermittlungen anzustellen, wo man geeignete
Räumlichkeiten finden konnte. Am 11. Mai 1942 besuchte der OStA Dr.
Henning das Dortmunder Gerichtsgefängnis und hielt die Schlosserei
für einen geeigneten Hinrichtungsraum.
Auf einem anderen Blatt steht, dass er sich mit der
Anzahl von 6-7 Todeszellen auf Anhieb verschätzte.
Am 16. Mai 1942 legten der OLG-Präsident und der Hammer
Generalstaatsanwalt in einem gemeinsamen Schreiben dem
Justizminister ihre Überlegungen und Argumente dar.
Am 20. Juni wies das Justizministerium erst einmal den
Vorschlag ab, wollte die Angelegenheit aber im Auge behalten.
Was nun geschah, ist nicht ganz klar, denn dass nächste
Schreiben ist direkt schon die Geburtsurkunde der Dortmunder
Richtstätte. [im Original: Illustration – erläutern…]
Hierzu muss aber gesagt werden, dass das Kind trotz
dieser Geburtsurkunde noch nicht geboren war, bzw. die Einrichtung
war noch nicht einsatzbereit. So wurden die ersten nun folgenden
Hinrichtungen in Dortmund durch Erschießen vollstreckt.
Am 8.5. wurde ein "Plünderer", vorher war es zu einem
schweren Angriff auf Dortmund gekommen, wohl auf dem
Polizeischießstand in Aplerbeck erschossen. Ob dieser Angriff etwas
mit der Funktionsunfähigkeit der Richtstätte zu tun hat, konnte ich
nicht ermitteln.
Am 20. Mai erschoss ein Exekutionskommando in den späten
Abendstunden den deutschen Soldaten Hans August Hülsmann und den
belgischen Widerstandskämpfer Eugen Capron der vom VGH wegen
Spionage zum Tode verurteilt worden war.
Am 2. Juli 1943 begannen dann in Dortmund die
Hinrichtungen mit dem Fallbeil, die an wohl mehr als 280 vollzogen
wurde. Der letzte Hinrichtungstag in Dortmund war der 5. Januar
1945. An diesem Tag wurden nach eindeutigen Indizien die fünf
Hinrichtungen nicht mehr von einem Henker, sondern von
Vollzugsbeamten der Anstalt vollzogen. Eine Woche später wurden die
noch einsitzenden Todeskandidaten nach Wolfenbüttel in Marsch
gesetzt, wo nachweislich Anfang Februar noch ein Teil von ihnen
geköpft wurde.
Unter den Hingerichteten befanden sich einige wenige
Kapitalverbrecher, die wegen Tötungsdelikten verurteilt worden waren
(14), Kriminelle und Kleinkriminelle (104/Todesurteil wegen Schnaps-
und Kaninchendiebstahl), Sexualstraftäter (6), Militärangehörige,
die teilweise sozusagen in ziviler Amtshilfe hingerichtet wurden
(46), und Systemgegner und Widerstandskämpfer. Diese stellten mit
mindestens 116 Personen die größte Gruppe.
Bei den restlichen Personen war die Zuordnung nicht immer
klar zu ermitteln.
Hinrichtungstermine konnten bisher 71 ermittelt werden.
Dabei handelte es sich überwiegend um Mehrfach- bzw.
Massenexekutionen.
An 7 Tagen überstieg die Zahl der Hingerichteten die
Zehnergrenze und zwar 1943 allein fünfmal.
So wurden
am 15. November 1943 19 Personen,
am 30. Juni 1943 18 Personen,
am 18. Okt. 17 Personen und
am 17. Sept. und am allerersten Hinrichtungstag dem
2. Juni jeweils 12 Personen hintereinander geköpft.
(Am 15. u. 22. 9. 1944 starben jeweils 11 Personen.)
Unter den Opfern waren Angehörige aus 8 Nationen, wobei
unter den heutigen Grenzziehungen man zu einem anderen Ergebnis
käme.
Und zwar waren es:
191 Reichsdeutsche (davon heute mindestens 2
Österreicher)
22 Franzosen
11 Polen
2 Niederländer
sowie je 1 Italiener, Sowjetbürger (Ukrainer), Australier
und ein Staatenloser
bei 4 Personen ist die Nationalitätenfrage ganz ungeklärt, bei
dreien stehen zwei Möglichkeiten (deutsch/tschechisch, poln./litauisch
bzw. poln./staatenlos) zur Auswahl).
Nach den Deutschen folgte als zweitgrößte Gruppe aber die
der belgischen Staatsangehörigen. Mindestens 67 Belgier starben in
Dortmund. Bei mindestens einer weiteren Person (Levens) nehme ich
an, dass er Belgier war. Weiterhin muss ein Mann (Szyfmann) der mal
als Pole, mal als Staatenloser bezeichnet wird hinzugerechnet
werden, da er als Mitglied des belgischen Widerstandes zum Tode
verurteilt wurde. Alle in Dortmund hingerichteten belgischen
Staatsangehörigen waren männlich. Die überwiegende Anzahl wurde
wegen politischer Delikte verurteilt und hingerichtet. Unter den
Nationengruppen stellten sie die höchste Anzahl politischer Opfer
und übertrafen dabei noch die große Zahl der Deutschen.
Von den Hingerichteten Belgiern war
1 wegen Raubmordes verurteilt
3 wegen Diebstahls
bei 3 weiteren ist das Delikt unklar, doch sprechen die Indizien für
eine politische Verurteilung.
60 sind eindeutig wegen ihres Widerstandes gegen das NS-System
hingerichtet worden (61 mit Szyfmann).
Sie wurden insgeheim hingerichtet. Ihre nächsten
Angehörigen wurden nicht verständigt, denn sie waren Nacht- und
Nebelgefangene: Nach einer Aufstellung in einem Aufsatz von Alfred
Konieczny wurden insgesamt 258 belgische Staatsbürger als
NN-Gefangene von Gerichten im Reich zum Tode verurteilt und 63 davon
in Dortmund hingerichtet. Zieht man von der von mir ermittelten
Gesamtzahl von 67 die 4 wegen krimineller Delikte Verurteilten ab,
so ergibt sich eine zahlenmäßige Übereinstimmung. Andererseits
sollte nicht übersehen werden, dass auch andere Nationalitäten
diesem Komplex hinzuzurechnen sind. Von den belgischen
Widerstandsgruppen bestanden Verbindungen zu nordfranzösischen
Gruppen. Teilweise existierten persönliche und familiäre
Verbindungen.
Dazu kommt die Beteiligung von Ausländern mit Wohnsitz in
Belgien.
Doch zurück zur Bezeichnung Nacht- und Nebelgefangene.
Nacht und Nebel
Nach dem Polenfeldzug 193 9 marschierten deutsche Truppen
im April 1940 in Dänemark und Norwegen ein. Im Mai begann der
Westfeldzug. Unter Bruch der Neutralität wurden die Niederlande,
Belgien und Luxemburg besetzt und der Frankreichfeldzug
durchgeführt. In den besetzten Gebieten wurden unmittelbar nach der
Besetzung deutsche Okkupationsverwaltungen eingesetzt. Schon vor dem
Überfall im Westen waren für diese Staaten Militärverwaltungen
vorgesehen. Die "vollziehende Gewalt" für diese Gebiete war dem OdH
übertragen worden, der sie an die Heeresgruppen überwies. Den
Heeresgruppen wurden Militärverwaltungsstäbe zugeteilt, die je nach
Verlauf der Kampfhandlungen besonderen Militärbefehlshabern
unterstellt werden konnten.
......
Artikel NN
Unter den in Dortmund Hingerichteten überwogen die, die
vom VGH in Esterwegen verurteilt worden waren. Als urteilende
Gerichte konnten festgestellt werden:
40x der VGH
19x das SG Essen
1x das SG Wuppertal
1x das SG Hamm (krim)
1x das SG Bielefeld (krim.)
2x das SG Dortmund (krim)
3x ist das Gericht bisher nicht bekannt
Verurteilt wurden die Widerstandskämpfer wegen folgender
Delikte (hier ist die Datenbasis aber oft recht schmal und
unsicher):
Feindbegünstigung: 20x
Feindbegünstigung und Spionage: 9x
Feindbegünstigung und Waffenvergehen: 9x
Feindbegünstigung, Spionage und Waffenvergehen: 1x
Feindbegünstigung, kommunist. Umtriebe: 1x
Spionage: 7x
Spionage/Waffenvergehen: 1x
Sabotage/Waffenbesitz: 1x
Waffenvergehen: 1x
Vorbereitung zur Sabotage/Kriegsspionage: 1x
Feindbegünstigung/Mord/Raub: 1
Bei einem schweren Diebstahl und einem Raub spielten
ebenfalls Waffen eine Rolle, so dass ein politischer Hintergrund
nicht unbedingt ausgeschlossen werden kann.
In 10 Fällen ist das Delikt unbekannt, doch durch
das Gericht bzw. den Mitangeklagten ist der politische Zusammenhang
gegeben. Die meisten starben bereits 1943. Von den 19
Hinrichtungsterminen an denen Belgier starben, liegen 14 im Jahre
1943. 57 wurden bereits 1943 getötet, die anderen 10 im ersten
Halbjahr 1944. Genau auf dem 1. Jahrestag der Richtstätte am
2.6.1944 starben die bei letzten Belgier, die in Dortmund
hingerichtet wurden.
Der 15.11.1943 bedeutete nicht nur die meisten
Hingerichteten, sondern von den 19 waren 13 Belgier. Mit Gustav
Isaak, aus Danzig gebürtig und in Brüssel wohnhaft starb auch der
einzige bekannte Jude unter dem Dortmunder Fallbeil. (Szyfmann
könnte aufgrund seiner Vornamen ebenfalls Jude gewesen sein, ist
aber nicht bekannt.)
Am 18.10.1943 waren 12 von 17 Hingerichteten Belgier und
am ersten Hinrichtungstag dem 2.6.43 waren es 9 von insgesamt 12.
Unter den Hingerichteten waren alle Bevölkerungsschichten vertreten:
Arbeiter und Interlektuelle. Auffällig die Zahl der Handwerker. Der
öffentliche Dienst ist mit Lehrern, Gendarmeriebeamten, Polizisten,
Gerichtsbeamten sowie Post- und Bahnangestellten vertreten. Ein
Oberarzt zählt zu den Opfern und ein Ing. sowie zwei katholische
Geistliche.
Als besonders tragisch darf angesehen werden, dass viele
starben, die sehr jung waren.
Die Männer waren zum Zeitpunkt ihres Todes zwischen 18
und 55 Jahre alt.
1 war erst 18
2 waren 19
5 waren 20
3 waren 21
6 waren 22
4 waren 23
und 2 24 Jahre alt.
Zwischen 26 und 29 waren 8,
in den 30ern waren 21 Opfer,
in den 40er waren 10,
und 5 waren 50 Jahre und älter.
Zu denen, die am ersten Hinrichtungstag der zentralen
Richtstätte Dortmund am 2. Juni 1943 starben, gehörte der Vorsteher
der Bahnstation Bassily Camille Thys. Ein belgischer Fallschirmagent
war in der Nacht vom 13. auf den 14. August 1941 von der RAF über
der belgischen Gemeinde Gondregnies abgesetzt worden. Er brach sich
beim Absprung einen Fuß. Der Gemeindepfarrer leistete erste Hilfe
und sorgte für die fachgerechte Behandlung.
Dann konnte der Mann, verborgen in einem christlichen
Krankenhaus seinen Fuß ausheilen lassen. Danach suchte man einen
sicheren Unterschlupf und sprach die Familie Thys an, die sich dazu
bereit erklärte. Mehrere Monate genoss der Agent die
Gastfreundschaft und Unterstützung seiner Retter und der Familie
Thys. Sie besorgten ihm Lebensmittelmarken, holten Auskünfte ein,
dienten ihm als Boten und standen Wache, wenn er sendete. Mehr durch
den Zufall mitten in einer Gruppe von Patrioten gelandet, als durch
eigenes Verdienst, konnte dieser Mann mehrere Monate seiner Aufgabe
nachkommen. Doch er verhielt sich dabei recht leichtsinnig. Am 28.
Januar 1943 wurde er in Brüssel bei seinem Bruder von der Geheimen
Feldpolizei verhaftet. Schon bei den ersten Verhören verriet er alle
seine Helfer, und schon zwei Tage später wurden alle in Haft
genommen. Acht Personen fielen dem Verrat zum Opfer. Camille Thys
wurde noch zusätzlich dadurch belastet, dass die geheimen
Unterlagen, die bei der ersten Hausdurchsuchung nicht entdeckt
worden waren, durch den fortgesetzten Verrat des Agenten im
nachhinein in seinem Haus gefunden wurden. Nach langen schrecklichen
Verhören kam er in das Gefängnis von Saint. Gilles. Von dort wurde
er am 15. August des Jahres mit unbekanntem Ziel verlegt. Er kam in
das Gefängnis von Bochum. Ein Kriegsgericht oder der VGH verurteilte
ihn am 24. Februar 1942 zu Tode. Nach mehreren Wochen des Hoffens
und Bangens wurde ihm am 1. Juni 1943 mitgeteilt,
dass er am folgenden Tag nach Dortmund verlegt werden würde.
In den
Morgenstunden ging es dann mit mehreren Schicksalsgenossen "auf
Transport". Das sonderbare Verhalten des Gefängnispersonals in
Dortmund ließ immer mehr den Verdacht aufkommen, dass die
Hinrichtung bevorstand. Doch erst am frühen Nachmittag kam die
Gewissheit. Der Gefängnisdirektor verkündete: "Die Hinrichtung wird
heute Abend um sieben Uhr stattfinden". Nach der Todesurkunde starb
Camille Thys am 2. Juli 1943 um 19.13 Uhr. Er war der vierte von
insgesamt zwölf Verurteilten, die an diesem Tage in Dortmund zum
Fallbeil geführt wurden. Er wurde 54 Jahre alt. Über einen Mann, der
ein halbes Jahr später starb, bekamen die deutschen Behörden relativ
wenig heraus. Doch das genügte schon, um ihn dem Henker
auszuliefern. Wegen "Feindbegünstigung" und "kommunistischer
Umtriebe" wurde Henri Agon am 6. Dezember 1943 guillotiniert. Sie
wussten nicht, dass sie damit einen der hochrangigsten
kommunistischen Funktionäre des Widerstandes auf das Schafott
schickten. Agon, geboren am 19. Oktober 1911 in Louviere, erlernte
den Beruf des Tischlers. Schon früh wurde er politisch aktiv und
bekämpfte den Faschismus. Während des Spanischen Bürgerkrieges
meldete er sich freiwillig zum Kampf auf Seiten der Republik. Er
gehörte einer Spezialeinheit an, die hinter den feindlichen Linien
Sabotageaufträge durchführte. Dort erwarb er sich dabei den nom de
guerre "Commandante dynamitero" und wurde in den Rang eines
Hauptmanns befördert. Kaum in der Heimat zurück, wurde er erneut
mobilisiert und diente beim 1. Jagdregiment zu Pferde. Während des
Westfeldzuges im Mai 1940 gefangengenommen, flüchtete er aus dem
Wehrmachtgewahrsam und kehrte nach Hause zurück. Sofort begann er,
eine Widerstandsgruppe aufzubauen und mit anderen Gruppen Kontakt
aufzunehmen. Er gründete eine Abteilung der "Partisans armes"
(Bewaffnete Partisanen) im Zentrum Belgiens und wurde zum
stellvertretenden Nationalkommandanten der Widerstandsgruppe. Um den
Kampf gegen die Besatzer auch publizistisch voranzutreiben, baute er
die Untergrundzeitung "La Verite" auf. Nach einer Denunziation
gelang der Gestapo am 26. Mai 1942 seine Verhaftung. Bei dem
Versuch, sich der Festnahme zu entziehen, verletzte er sich. Bis
Ende Juli 1942 saß er im Gefängnis von Mons ein, dann verlor sich
seine Spur für seine Angehörigen. Er kam in das Lager Esterwegen und
von dort nach Essen. Das Essener Sondergericht verurteilte ihn wegen
"Feindbegünstigung" zu Tode. Von dort ging es nach Dortmund. Beim
"üblichen" Vollstreckungstermin" am 3. Dezember 1943 wurde er noch
nicht herausgerufen. Dann hatte man es aber plötzlich sehr eilig,
und so musste extra für ihn der Henker nach drei Tagen nochmals
anreisen. Er starb am Nikolaustag 1943 um 17.26 Uhr.
Der belgische Staat ehrte ihn posthum mit dem Ritterkreuz
des Ordens Leopold II mit Palme, dem Kriegskreuz mit Palme, der
Medaille der Widerstandsbewegung und anderen Orden. Dass der Name
Dortmund bei den Angehörigen der vielen Opfer nicht nur negativ
besetzt ist, ist dem damaligen katholischen Gefängnisgeistlichen
Vikar Steinhoff zu verdanken, der, unterstützt durch seinen Kollegen
Vikar Tuschen, den späteren Paderborner Weihbischof, fast 200
Menschen auf den Tod vorbereitete. Er riskierte Kopf und Kragen,
indem er letzte Nachrichten und Briefe aus dem Gefängnis schmuggelte
und nach dem Krieg den Angehörigen zukommen ließ. Sein Wirken trug
etwas zur Versöhnung zwischen den Völkern bei.
Eugene Capron
Der erste belgische Widerstandskämpfer, der in Dortmund
als erster und als einziger durch Erschießen starb, war der
Telegrafenamtsvizedirektor Eugen Capron aus La Louviere. Er wurde am
25. Juni 1901 in Courcelles geboren. 1920 trat er in die
Verwaltungslaufbahn der Post ein. Nach einer Laufbahn in den
Kolonien kam er 1938 als stellv. Bürovorsteher nach La Louviere.
1940 wurde er von der Leitung der Telefongesellschaft PTT nach
Frankreich geschickt und befand sich im Augenblick der Kapitulation
in Montpellier. Er kehrt in die Heimat zurück und wird Anfang Januar
1941 Agent des Intelligence Service. Dort wird er unter dem
Decknamen "Wiart" in der Abt. "Marbles" geführt. Er erhält den
Dienstrang eines Oberleutnants. Seine Aufgabe ist es, militärische
Nachrichten, die ein belgischer Offizier, der von den Engländern mit
dem Fallschirm eingeschleust wurde, erhält, nach London zu funken.
Am 13. Oktober 1941 wird er von der deutschen Funkmesspeilung
geortet und beim 'Sendevorgang in seiner Wohnung festgenommen. Seine
anwesende Frau Paula wird ebenfalls festgenommen und wird erst 1945
aus dem FKL Ravensbrück befreit. Tochter und Schwiegersohn kommen
ebenfalls in Haft, werden aber im Januar 1942 freigelassen.
Er selber kommt erst nach St. Gilles, im Mai 1942 nach
Deutschland. In Wuppertal wird er am 24. Februar 1942 zum Tode
verurteilt. Am 20. Mai erschossen, wird seine Leiche am 5. Juni
(wohl mit den Hingerichteten vom 2.6.) eingeäschert und auf dem
Hauptfriedhof bestattet. Im Herbst 1945 werden die sterblichen
Überreste exhumiert und am 10. Nov. 194 5 in seinem Heimatort mit
allen Ehren bestattet. In dem Postgebäude seiner Heimatstadt erhielt
er eine Gedenkstätte. Posthum wurde er mit dem Kreuz des
Ritterordens Leopold II mit Palme ausgezeichnet.
Adrien de Groote
De Grote gehörte zu den letzten belgischen Opfern in
Dortmund. Er wurde am 10.3.1944 enthauptet. Geboren wurde er am 15.
Okt. 1910 in Destelbergen. Er besuchte das königliche Gymnasium in
Gent. Er übte den Beruf des Gerichtsvollziehers aus und war Notar
zur Anstellung. 1940 kämpfte er als Flaksoldat bei Dünkirchen und
wird verwundet. Er wollte die Kapitulation nicht hinnehmen und
gründete zusammen mit Kameraden die Widerstandsorganisation "La
Ligue des V" und wurde Mitarbeiter des SRA (Service de
Renseignements et d'Action). Unter dem Decknamen Monsieur Jean" war
er führend am Ausbau der Widerstandsorganisation beteiligt, die seit
Anfang 1941 Sendekontakt mit London hatte. Den Deutschen gelang es
aber in das innere Gefüge der Organisation einzudringen und 45
Personen festzunehmen. Unter der verhafteten Führern befand sich
auch A. d. Groote . Er kommt in das Gefängnis von Gent und wird
lange Wochen verhört und gefoltert ohne etwas zu verraten. Am 30.
Juli wird er in das Gefängnis Bochum überstellt, Anfang Mai 1943
nach Esterwegen. Bei Verhandlung vor dem SG Essen/Sitz Esterwegen am
18. Dezember 1943 nimmt er alle Verantwortung auf sich, um Kameraden
zu entlasten, da er weiß, dass ihm das Todesurteil sicher ist. Er
wird ebenfalls posthum Ritter des Ordens Leopold II. In seinem
Geburtsort ist eine Straße nach ihm benannt.
Ermittlungsergebnisse in den Akten.
Josef Raskin
wurde am 21. Juni 1892 in Stevoort in Belgien
geboren. Nach dem Schulbesuch in St. Truiden trat er 1909 in das
Kloster Scheut bei Brüssel ein und studierte dort Theologie und
Philosophie.
Mit dem Ausbruch des I. Weltkrieges beginnt er seine
Laufbahn bei der belgischen Armee als Sanitäter, kämpft an der Font
und ist später als Zeichner, Kundschafter und Dolmetscher beim
Armeestab tätig.
Am 11. November 1918 kehrt Josef Raskin nach Stevoort
zurück und nimmt nach der Entlassung aus dem Militärdienst seine
Studien in Leuwen wieder auf. Am 2. Februar 1919 wird er zum
Priester geweiht und geht im November desselben Jahres nach China,
wo er bis zum Februar 1934 als Missionspriester tätig ist.
Nach seiner Rückkehr nach Belgien ist Pater Raskin Lehrer
im Kloster Scheut. Mit Beginn des II. Weltkrieges steht er als
Militärpfarrer im Dienst der belgischen Armee, bis er nach seiner
Entlassung aus dem Militärdienst wiederum ins Kloster Scheut
zurückkehrt. Hier leistet er Widerstand gegen die Besetzung seiner
Heimat durch die Nationalsozialisten, indem er Sender abhört und
Nachrichten weiterleitet.
Am 1. Mai 1942 wird der Pater von den Deutschen wegen
Spionageverdachts verhaftet. Seine Stationen sind zunächst das
Gefängnis St. Gilles bei Brüssel, am 9. Mai wird er nach Brauweiler
bei Köln transportiert, wenig später über Bochum nach Wuppertal
gebracht. Im Mai 1943 wird das Gefängnis Wuppertal wegen der
zunehmenden Bombenangriffe geräumt, die Gefangenen werden nach
Esterwegen transportiert. Das Strafgefangenenlager Esterwegen ist
die letzte Station des Paters.
Am 31. August 1943 wird Josef Raskin nach Papenburg
gebracht, wo der "Volksgerichtshof" unter Vorsitz von Roland
Freisler in der ehemaligen Ursulinenschule tagt.
Unter dem Kreuz, das heute in der Kapelle des
Mariengymnasiums hängt, wird der Pater zum Tode verurteilt. Das
Urteil wird am 18. Oktober 1943 in Dortmund vollstreckt.
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