"Terechtgesteld in Dortmund"

Ausschnitte aus der Rede von Dieter Knippschild, 1991, Dortmund

 

Vorsicht: "Dieser Vortrag wurde von mir im Rahmen des antifaschistischen Seminars –   Dortmund vor mehr als 25 Jahren gehalten. Die damals vorgetragenen Zahlen und einige Fakten sind durch neuere Forschungen und Erkenntnisse überholt."

D. Knippschild, 22.06.2016.

 

Es war einige Zeit nach Beendigung des Zweiten Weltkriegs, da entschloss sich die "Nationale Confederatie van Politieke Gevangenen en Rechthebbenden van Belgie" der Gemeinde Tielt in Westflandern ein Gedenkbild zur erstellen. Aufgenommen werden sollten alle Opfer des Widerstandskampfes gegen die deutsche Besatzung aus Tielt und den umgebenden Ortschaften. Als man die Arbeit beendet hatte, enthielt der Rahmen die Portraits von 36 teilweise recht jungen Männern. An den Rändern fügte man vier Fotos hinzu. Sie zeigen ein Fallbeil, ein Krematorium, den Trauerzug nach der Überführung der Opfer und das Gräberfeld, auf dem sie bestattet worden waren. Über den Portraits befindet sich der Schriftzug "Politieke Gevangenen Gewest Tielt (West-VL)".

Zwischen den Fotos hat man ein Kreuz angebracht das von folgendem Text umrahmt wird: "Terechtgesteld in Dortmund".

Terechtgesteld, das klingt, wenn man sich nur an dem Lautmalerischen orientiert, relativ harmlos. Doch es bezeichnet einen wenig harmlosen Vorgang, Terechtgesteld bedeutet hingerichtet. Und für genau die Hälfte der abgebildeten Männer traf dies zu. Sie verloren ihr Leben in Dortmund unter dem Fallbeil. Und so sind nicht ohne Grund neben den Opfern die Fotos der Dortmunder Guillotine und des "Brandoven van Dortmund", des Dortmunder Krematoriums, angebracht.

Während in Dortmund der Opfer der Gestapo-Morde jedes Jahr zu Karfreitag gedacht wird, sind die Opfer der Hinrichtungen kaum bekannt. In Dortmund wurden während der NS-Zeit über 300 Personen von der Justiz durch das Handbeil, das Fallbeil und durch Erschießen zu Tode gebracht. Ich habe in meinen Unterlagen die Namen und Daten von 305 Personen erfasst. Die Mehrheit wurde im Gerichtsgefängnis "Lübecker Hof" guillotiniert. Dort befand sich von Juni 1943 bis Anfang Januar 1945 eine der offiziellen Hinrichtungsstätten des Deutschen Reiches. Zeitweilig reiste der Henker im Wochenrhythmus an.

Bevor ich mich dem eigentlichen Thema der Nacht- und Nebelgefangenen aus Belgien zuwende, möchte ich erst eine Ausführungen zur Geschichte Dortmunds als Hinrichtungsstätte machen und zur Quellenlage machen.

Hinsichtlich der Quellenlage muss gesagt werden, dass die mir vorliegenden Unterlagen teilweise unvollständig, teilweise widersprüchlich und manche nachweislich falsch waren. Die Justizbürokratie, aber auch die sonstigen damit befassten Behörden haben teilweise recht schlampig bearbeitet: Namen wurden nach Gehör niedergeschrieben, ganze Datenbereiche nicht ermittelt und in den Urkunden nicht niedergelegt.

Hier besteht noch Forschungsbedarf, insbesondere Vergleichsbedarf mit anderen Unterlagen, den ich erst in späterer Zukunft abdecken kann.

Zur Hinrichtungsstätte:

Wie bereits erwähnt wurden während der NS-Zeit in Dortmund mindestens 305 Personen hingerichtet und zwar 277 Männer und 28 Frauen. Davon starben nach meinen Recherchen 5 durch das Handbeil, 7 wurden wohl erschossen, bei weiteren 5 ist es fraglich, ob sie erschossen oder geköpft wurden, die große restliche Mehrheit starb unter dem Fallbeil, dass seit Mitte 1943 im Lübecker Hof stand.

Zwischen den ersten Hinrichtungen der frühen NS-Zeit und den späteren gab es mehrere Jahre, in denen in Dortmund keine Hinrichtungen vollzogen wurden.

Die unterschiedlichen Hinrichtungsarten und Hinrichtungszeiten haben etwas mit der Organisation der Strafvollstreckung im Deutschen Reich zu tun.

Erste Jahre - Organisation wie in der Weimarer Zeit - Landgerichte mussten die Vollstreckung der Urteile selbst vollziehen.

Altpreußische Gebiete - Vollstreckung mit dem Handbeil.

In Dortmund 2 Hinrichtungstermine

30.8.1934 - 4 Personen, darunter zwei wegen politisch motivierter Straftaten. Die politischen Urteile sind später nur reduziert, nicht aber aufgehoben worden. (Buchhinweis)
26.2.1936 - ein Raubmörder

Danach kam es mehrere Jahre zu keinen weiteren Hinrichtungen mehr in Dortmund.

Grund war eine Änderungen im bisherigen System der Vollstreckung der Todesstrafe:
Bereits 1933 soll Hitler die Anfertigung von 20 Fallbeilen angeordnet haben. Am 28. Dezember 1936 erließ der Reichsjustizminister eine neue Bestimmung zur Vollstreckung der Todesstrafe.

Es wurden dann 11 Vollzugsanstalten aufgeführt, in denen Hinrichtungen vollzogen werden sollten, Das Dortmunder Gerichtsgefängnis war nicht darunter, sondern unter Punkt g) hieß es…..[Illustration]

Diese Aufstellung wurde dann noch mehrfach geändert, z.B. im Sept. 1937, Juni 1940 und Herbst 1942. Die von Dortmunder Gerichten verurteilten Todeskandidaten wurden aber weiterhin nach Köln geschickt.

Mit dieser Regelung war man aber beim OLG in Hamm unzufrieden. Während des Krieges kam es durch Einberufungen zu Personalengpässen. Gleichzeitig stieg die Zahl der Delikte, die mit der Todesstrafe belegt werden konnte erheblich an und damit die Zahl der Todesurteile und der Hinrichtungen. Bei den Hinrichtungen musste ein Staatsanwalt des erkennenden Gerichts und ein Urkundenbeamter anwesend sein. Diese fielen durch die "Dienstreise" zum Hinrichtungsort Köln immer für einen ganzen Tag und mehr aus. Man wünschte eine eigene Richtstätte im Bereich des OLG. Man begann auf eigene Faust Ermittlungen anzustellen, wo man geeignete Räumlichkeiten finden konnte. Am 11. Mai 1942 besuchte der OStA Dr. Henning das Dortmunder Gerichtsgefängnis und hielt die Schlosserei für einen geeigneten Hinrichtungsraum.

Auf einem anderen Blatt steht, dass er sich mit der Anzahl von 6-7 Todeszellen auf Anhieb verschätzte.

Am 16. Mai 1942 legten der OLG-Präsident und der Hammer Generalstaatsanwalt in einem gemeinsamen Schreiben dem Justizminister ihre Überlegungen und Argumente dar.

Am 20. Juni wies das Justizministerium erst einmal den Vorschlag ab, wollte die Angelegenheit aber im Auge behalten.

Was nun geschah, ist nicht ganz klar, denn dass nächste Schreiben ist direkt schon die Geburtsurkunde der Dortmunder Richtstätte. [im Original: Illustration – erläutern…]

Hierzu muss aber gesagt werden, dass das Kind trotz dieser Geburtsurkunde noch nicht geboren war, bzw. die Einrichtung war noch nicht einsatzbereit. So wurden die ersten nun folgenden Hinrichtungen in Dortmund durch Erschießen vollstreckt.

Am 8.5. wurde ein "Plünderer", vorher war es zu einem schweren Angriff auf Dortmund gekommen, wohl auf dem Polizeischießstand in Aplerbeck erschossen. Ob dieser Angriff etwas mit der Funktionsunfähigkeit der Richtstätte zu tun hat, konnte ich nicht ermitteln.

Am 20. Mai erschoss ein Exekutionskommando in den späten Abendstunden den deutschen Soldaten Hans August Hülsmann und den belgischen Widerstandskämpfer Eugen Capron der vom VGH wegen Spionage zum Tode verurteilt worden war.

Am 2. Juli 1943 begannen dann in Dortmund die Hinrichtungen mit dem Fallbeil, die an wohl mehr als 280 vollzogen wurde. Der letzte Hinrichtungstag in Dortmund war der 5. Januar 1945. An diesem Tag wurden nach eindeutigen Indizien die fünf Hinrichtungen nicht mehr von einem Henker, sondern von Vollzugsbeamten der Anstalt vollzogen. Eine Woche später wurden die noch einsitzenden Todeskandidaten nach Wolfenbüttel in Marsch gesetzt, wo nachweislich Anfang Februar noch ein Teil von ihnen geköpft wurde.

Unter den Hingerichteten befanden sich einige wenige Kapitalverbrecher, die wegen Tötungsdelikten verurteilt worden waren (14), Kriminelle und Kleinkriminelle (104/Todesurteil wegen Schnaps- und Kaninchendiebstahl), Sexualstraftäter (6), Militärangehörige, die teilweise sozusagen in ziviler Amtshilfe hingerichtet wurden (46), und Systemgegner und Widerstandskämpfer. Diese stellten mit mindestens 116 Personen die größte Gruppe.

Bei den restlichen Personen war die Zuordnung nicht immer klar zu ermitteln.

Hinrichtungstermine konnten bisher 71 ermittelt werden.

Dabei handelte es sich überwiegend um Mehrfach- bzw. Massenexekutionen.

An 7 Tagen überstieg die Zahl der Hingerichteten die Zehnergrenze und zwar 1943 allein fünfmal.

So wurden
am 15. November 1943 19 Personen,
am 30. Juni 1943 18 Personen,
am 18. Okt. 17 Personen und
am 17. Sept. und am allerersten Hinrichtungstag dem

2. Juni jeweils 12 Personen hintereinander geköpft.

(Am 15. u. 22. 9. 1944 starben jeweils 11 Personen.)

Unter den Opfern waren Angehörige aus 8 Nationen, wobei unter den heutigen Grenzziehungen man zu einem anderen Ergebnis käme.

Und zwar waren es:

191 Reichsdeutsche (davon heute mindestens 2 Österreicher)
22 Franzosen
11 Polen
2 Niederländer

sowie je 1 Italiener, Sowjetbürger (Ukrainer), Australier und ein Staatenloser
bei 4 Personen ist die Nationalitätenfrage ganz ungeklärt, bei dreien stehen zwei Möglichkeiten (deutsch/tschechisch, poln./litauisch bzw. poln./staatenlos) zur Auswahl).

Nach den Deutschen folgte als zweitgrößte Gruppe aber die der belgischen Staatsangehörigen. Mindestens 67 Belgier starben in Dortmund. Bei mindestens einer weiteren Person (Levens) nehme ich an, dass er Belgier war. Weiterhin muss ein Mann (Szyfmann) der mal als Pole, mal als Staatenloser bezeichnet wird hinzugerechnet werden, da er als Mitglied des belgischen Widerstandes zum Tode verurteilt wurde. Alle in Dortmund hingerichteten belgischen Staatsangehörigen waren männlich. Die überwiegende Anzahl wurde wegen politischer Delikte verurteilt und hingerichtet. Unter den Nationengruppen stellten sie die höchste Anzahl politischer Opfer und übertrafen dabei noch die große Zahl der Deutschen.

Von den Hingerichteten Belgiern war

1 wegen Raubmordes verurteilt
3 wegen Diebstahls
bei 3 weiteren ist das Delikt unklar, doch sprechen die Indizien für eine politische Verurteilung.
60 sind eindeutig wegen ihres Widerstandes gegen das NS-System hingerichtet worden (61 mit Szyfmann).

Sie wurden insgeheim hingerichtet. Ihre nächsten Angehörigen wurden nicht verständigt, denn sie waren Nacht- und Nebelgefangene: Nach einer Aufstellung in einem Aufsatz von Alfred Konieczny wurden insgesamt 258 belgische Staatsbürger als NN-Gefangene von Gerichten im Reich zum Tode verurteilt und 63 davon in Dortmund hingerichtet. Zieht man von der von mir ermittelten Gesamtzahl von 67 die 4 wegen krimineller Delikte Verurteilten ab, so ergibt sich eine zahlenmäßige Übereinstimmung. Andererseits sollte nicht übersehen werden, dass auch andere Nationalitäten diesem Komplex hinzuzurechnen sind. Von den belgischen Widerstandsgruppen bestanden Verbindungen zu nordfranzösischen Gruppen. Teilweise existierten persönliche und familiäre Verbindungen.

Dazu kommt die Beteiligung von Ausländern mit Wohnsitz in Belgien.

Doch zurück zur Bezeichnung Nacht- und Nebelgefangene.

Nacht und Nebel

Nach dem Polenfeldzug 193 9 marschierten deutsche Truppen im April 1940 in Dänemark und Norwegen ein. Im Mai begann der Westfeldzug. Unter Bruch der Neutralität wurden die Niederlande, Belgien und Luxemburg besetzt und der Frankreichfeldzug durchgeführt. In den besetzten Gebieten wurden unmittelbar nach der Besetzung deutsche Okkupationsverwaltungen eingesetzt. Schon vor dem Überfall im Westen waren für diese Staaten Militärverwaltungen vorgesehen. Die "vollziehende Gewalt" für diese Gebiete war dem OdH übertragen worden, der sie an die Heeresgruppen überwies. Den Heeresgruppen wurden Militärverwaltungsstäbe zugeteilt, die je nach Verlauf der Kampfhandlungen besonderen Militärbefehlshabern unterstellt werden konnten.

......

Artikel NN

Unter den in Dortmund Hingerichteten überwogen die, die vom VGH in Esterwegen verurteilt worden waren. Als urteilende Gerichte konnten festgestellt werden:

40x der VGH
19x das SG Essen
1x das SG Wuppertal
1x das SG Hamm (krim)
1x das SG Bielefeld (krim.)
2x das SG Dortmund (krim)
3x ist das Gericht bisher nicht bekannt

Verurteilt wurden die Widerstandskämpfer wegen folgender Delikte (hier ist die Datenbasis aber oft recht schmal und unsicher):

Feindbegünstigung: 20x
Feindbegünstigung und Spionage: 9x
Feindbegünstigung und Waffenvergehen: 9x
Feindbegünstigung, Spionage und Waffenvergehen: 1x
Feindbegünstigung, kommunist. Umtriebe: 1x
Spionage: 7x
Spionage/Waffenvergehen: 1x
Sabotage/Waffenbesitz: 1x
Waffenvergehen: 1x
Vorbereitung zur Sabotage/Kriegsspionage: 1x
Feindbegünstigung/Mord/Raub: 1

Bei einem schweren Diebstahl und einem Raub spielten ebenfalls Waffen eine Rolle, so dass ein politischer Hintergrund nicht unbedingt ausgeschlossen werden kann.

In 10 Fällen ist das Delikt unbekannt, doch durch das Gericht bzw. den Mitangeklagten ist der politische Zusammenhang gegeben. Die meisten starben bereits 1943. Von den 19 Hinrichtungsterminen an denen Belgier starben, liegen 14 im Jahre 1943. 57 wurden bereits 1943 getötet, die anderen 10 im ersten Halbjahr 1944. Genau auf dem 1. Jahrestag der Richtstätte am 2.6.1944 starben die bei letzten Belgier, die in Dortmund hingerichtet wurden.

Der 15.11.1943 bedeutete nicht nur die meisten Hingerichteten, sondern von den 19 waren 13 Belgier. Mit Gustav Isaak, aus Danzig gebürtig und in Brüssel wohnhaft starb auch der einzige bekannte Jude unter dem Dortmunder Fallbeil. (Szyfmann könnte aufgrund seiner Vornamen ebenfalls Jude gewesen sein, ist aber nicht bekannt.)

Am 18.10.1943 waren 12 von 17 Hingerichteten Belgier und am ersten Hinrichtungstag dem 2.6.43 waren es 9 von insgesamt 12. Unter den Hingerichteten waren alle Bevölkerungsschichten vertreten: Arbeiter und Interlektuelle. Auffällig die Zahl der Handwerker. Der öffentliche Dienst ist mit Lehrern, Gendarmeriebeamten, Polizisten, Gerichtsbeamten sowie Post- und Bahnangestellten vertreten. Ein Oberarzt zählt zu den Opfern und ein Ing. sowie zwei katholische Geistliche.

Als besonders tragisch darf angesehen werden, dass viele starben, die sehr jung waren.

Die Männer waren zum Zeitpunkt ihres Todes zwischen 18 und 55 Jahre alt.

1 war erst 18
2 waren 19
5 waren 20
3 waren 21
6 waren 22
4 waren 23
und 2 24 Jahre alt.

Zwischen 26 und 29 waren 8,
in den 30ern waren 21 Opfer,
in den 40er waren 10,
und 5 waren 50 Jahre und älter.

Zu denen, die am ersten Hinrichtungstag der zentralen Richtstätte Dortmund am 2. Juni 1943 starben, gehörte der Vorsteher der Bahnstation Bassily Camille Thys. Ein belgischer Fallschirmagent war in der Nacht vom 13. auf den 14. August 1941 von der RAF über der belgischen Gemeinde Gondregnies abgesetzt worden. Er brach sich beim Absprung einen Fuß. Der Gemeindepfarrer leistete erste Hilfe und sorgte für die fachgerechte Behandlung.

Dann konnte der Mann, verborgen in einem christlichen Krankenhaus seinen Fuß ausheilen lassen. Danach suchte man einen sicheren Unterschlupf und sprach die Familie Thys an, die sich dazu bereit erklärte. Mehrere Monate genoss der Agent die Gastfreundschaft und Unterstützung seiner Retter und der Familie Thys. Sie besorgten ihm Lebensmittelmarken, holten Auskünfte ein, dienten ihm als Boten und standen Wache, wenn er sendete. Mehr durch den Zufall mitten in einer Gruppe von Patrioten gelandet, als durch eigenes Verdienst, konnte dieser Mann mehrere Monate seiner Aufgabe nachkommen. Doch er verhielt sich dabei recht leichtsinnig. Am 28. Januar 1943 wurde er in Brüssel bei seinem Bruder von der Geheimen Feldpolizei verhaftet. Schon bei den ersten Verhören verriet er alle seine Helfer, und schon zwei Tage später wurden alle in Haft genommen. Acht Personen fielen dem Verrat zum Opfer. Camille Thys wurde noch zusätzlich dadurch belastet, dass die geheimen Unterlagen, die bei der ersten Hausdurchsuchung nicht entdeckt worden waren, durch den fortgesetzten Verrat des Agenten im nachhinein in seinem Haus gefunden wurden. Nach langen schrecklichen Verhören kam er in das Gefängnis von Saint. Gilles. Von dort wurde er am 15. August des Jahres mit unbekanntem Ziel verlegt. Er kam in das Gefängnis von Bochum. Ein Kriegsgericht oder der VGH verurteilte ihn am 24. Februar 1942 zu Tode. Nach mehreren Wochen des Hoffens und Bangens wurde ihm am 1. Juni 1943 mitgeteilt, dass er am folgenden Tag nach Dortmund verlegt werden würde. In den Morgenstunden ging es dann mit mehreren Schicksalsgenossen "auf Transport". Das sonderbare Verhalten des Gefängnispersonals in Dortmund ließ immer mehr den Verdacht aufkommen, dass die Hinrichtung bevorstand. Doch erst am frühen Nachmittag kam die Gewissheit. Der Gefängnisdirektor verkündete: "Die Hinrichtung wird heute Abend um sieben Uhr stattfinden". Nach der Todesurkunde starb Camille Thys am 2. Juli 1943 um 19.13 Uhr. Er war der vierte von insgesamt zwölf Verurteilten, die an diesem Tage in Dortmund zum Fallbeil geführt wurden. Er wurde 54 Jahre alt. Über einen Mann, der ein halbes Jahr später starb, bekamen die deutschen Behörden relativ wenig heraus. Doch das genügte schon, um ihn dem Henker auszuliefern. Wegen "Feindbegünstigung" und "kommunistischer Umtriebe" wurde Henri Agon am 6. Dezember 1943 guillotiniert. Sie wussten nicht, dass sie damit einen der hochrangigsten kommunistischen Funktionäre des Widerstandes auf das Schafott schickten. Agon, geboren am 19. Oktober 1911 in Louviere, erlernte den Beruf des Tischlers. Schon früh wurde er politisch aktiv und bekämpfte den Faschismus. Während des Spanischen Bürgerkrieges meldete er sich freiwillig zum Kampf auf Seiten der Republik. Er gehörte einer Spezialeinheit an, die hinter den feindlichen Linien Sabotageaufträge durchführte. Dort erwarb er sich dabei den nom de guerre "Commandante dynamitero" und wurde in den Rang eines Hauptmanns befördert. Kaum in der Heimat zurück, wurde er erneut mobilisiert und diente beim 1. Jagdregiment zu Pferde. Während des Westfeldzuges im Mai 1940 gefangengenommen, flüchtete er aus dem Wehrmachtgewahrsam und kehrte nach Hause zurück. Sofort begann er, eine Widerstandsgruppe aufzubauen und mit anderen Gruppen Kontakt aufzunehmen. Er gründete eine Abteilung der "Partisans armes" (Bewaffnete Partisanen) im Zentrum Belgiens und wurde zum stellvertretenden Nationalkommandanten der Widerstandsgruppe. Um den Kampf gegen die Besatzer auch publizistisch voranzutreiben, baute er die Untergrundzeitung "La Verite" auf. Nach einer Denunziation gelang der Gestapo am 26. Mai 1942 seine Verhaftung. Bei dem Versuch, sich der Festnahme zu entziehen, verletzte er sich. Bis Ende Juli 1942 saß er im Gefängnis von Mons ein, dann verlor sich seine Spur für seine Angehörigen. Er kam in das Lager Esterwegen und von dort nach Essen. Das Essener Sondergericht verurteilte ihn wegen "Feindbegünstigung" zu Tode. Von dort ging es nach Dortmund. Beim "üblichen" Vollstreckungstermin" am 3. Dezember 1943 wurde er noch nicht herausgerufen. Dann hatte man es aber plötzlich sehr eilig, und so musste extra für ihn der Henker nach drei Tagen nochmals anreisen. Er starb am Nikolaustag 1943 um 17.26 Uhr.

Der belgische Staat ehrte ihn posthum mit dem Ritterkreuz des Ordens Leopold II mit Palme, dem Kriegskreuz mit Palme, der Medaille der Widerstandsbewegung und anderen Orden. Dass der Name Dortmund bei den Angehörigen der vielen Opfer nicht nur negativ besetzt ist, ist dem damaligen katholischen Gefängnisgeistlichen Vikar Steinhoff zu verdanken, der, unterstützt durch seinen Kollegen Vikar Tuschen, den späteren Paderborner Weihbischof, fast 200 Menschen auf den Tod vorbereitete. Er riskierte Kopf und Kragen, indem er letzte Nachrichten und Briefe aus dem Gefängnis schmuggelte und nach dem Krieg den Angehörigen zukommen ließ. Sein Wirken trug etwas zur Versöhnung zwischen den Völkern bei.

Eugene Capron

Der erste belgische Widerstandskämpfer, der in Dortmund als erster und als einziger durch Erschießen starb, war der Telegrafenamtsvizedirektor Eugen Capron aus La Louviere. Er wurde am 25. Juni 1901 in Courcelles geboren. 1920 trat er in die Verwaltungslaufbahn der Post ein. Nach einer Laufbahn in den Kolonien kam er 1938 als stellv. Bürovorsteher nach La Louviere. 1940 wurde er von der Leitung der Telefongesellschaft PTT nach Frankreich geschickt und befand sich im Augenblick der Kapitulation in Montpellier. Er kehrt in die Heimat zurück und wird Anfang Januar 1941 Agent des Intelligence Service. Dort wird er unter dem Decknamen "Wiart" in der Abt. "Marbles" geführt. Er erhält den Dienstrang eines Oberleutnants. Seine Aufgabe ist es, militärische Nachrichten, die ein belgischer Offizier, der von den Engländern mit dem Fallschirm eingeschleust wurde, erhält, nach London zu funken. Am 13. Oktober 1941 wird er von der deutschen Funkmesspeilung geortet und beim 'Sendevorgang in seiner Wohnung festgenommen. Seine anwesende Frau Paula wird ebenfalls festgenommen und wird erst 1945 aus dem FKL Ravensbrück befreit. Tochter und Schwiegersohn kommen ebenfalls in Haft, werden aber im Januar 1942 freigelassen.

Er selber kommt erst nach St. Gilles, im Mai 1942 nach Deutschland. In Wuppertal wird er am 24. Februar 1942 zum Tode verurteilt. Am 20. Mai erschossen, wird seine Leiche am 5. Juni (wohl mit den Hingerichteten vom 2.6.) eingeäschert und auf dem Hauptfriedhof bestattet. Im Herbst 1945 werden die sterblichen Überreste exhumiert und am 10. Nov. 194 5 in seinem Heimatort mit allen Ehren bestattet. In dem Postgebäude seiner Heimatstadt erhielt er eine Gedenkstätte. Posthum wurde er mit dem Kreuz des Ritterordens Leopold II mit Palme ausgezeichnet.

Adrien de Groote

De Grote gehörte zu den letzten belgischen Opfern in Dortmund. Er wurde am 10.3.1944 enthauptet. Geboren wurde er am 15. Okt. 1910 in Destelbergen. Er besuchte das königliche Gymnasium in Gent. Er übte den Beruf des Gerichtsvollziehers aus und war Notar zur Anstellung. 1940 kämpfte er als Flaksoldat bei Dünkirchen und wird verwundet. Er wollte die Kapitulation nicht hinnehmen und gründete zusammen mit Kameraden die Widerstandsorganisation "La Ligue des V" und wurde Mitarbeiter des SRA (Service de Renseignements et d'Action). Unter dem Decknamen Monsieur Jean" war er führend am Ausbau der Widerstandsorganisation beteiligt, die seit Anfang 1941 Sendekontakt mit London hatte. Den Deutschen gelang es aber in das innere Gefüge der Organisation einzudringen und 45 Personen festzunehmen. Unter der verhafteten Führern befand sich auch A. d. Groote . Er kommt in das Gefängnis von Gent und wird lange Wochen verhört und gefoltert ohne etwas zu verraten. Am 30. Juli wird er in das Gefängnis Bochum überstellt, Anfang Mai 1943 nach Esterwegen. Bei Verhandlung vor dem SG Essen/Sitz Esterwegen am 18. Dezember 1943 nimmt er alle Verantwortung auf sich, um Kameraden zu entlasten, da er weiß, dass ihm das Todesurteil sicher ist. Er wird ebenfalls posthum Ritter des Ordens Leopold II. In seinem Geburtsort ist eine Straße nach ihm benannt.

Ermittlungsergebnisse in den Akten.

Josef Raskin wurde am 21. Juni 1892 in Stevoort in Belgien geboren. Nach dem Schulbesuch in St. Truiden trat er 1909 in das Kloster Scheut bei Brüssel ein und studierte dort Theologie und Philosophie.

Mit dem Ausbruch des I. Weltkrieges beginnt er seine Laufbahn bei der belgischen Armee als Sanitäter, kämpft an der Font und ist später als Zeichner, Kundschafter und Dolmetscher beim Armeestab tätig.

Am 11. November 1918 kehrt Josef Raskin nach Stevoort zurück und nimmt nach der Entlassung aus dem Militärdienst seine Studien in Leuwen wieder auf. Am 2. Februar 1919 wird er zum Priester geweiht und geht im November desselben Jahres nach China, wo er bis zum Februar 1934 als Missionspriester tätig ist.

Nach seiner Rückkehr nach Belgien ist Pater Raskin Lehrer im Kloster Scheut. Mit Beginn des II. Weltkrieges steht er als Militärpfarrer im Dienst der belgischen Armee, bis er nach seiner Entlassung aus dem Militärdienst wiederum ins Kloster Scheut zurückkehrt. Hier leistet er Widerstand gegen die Besetzung seiner Heimat durch die Nationalsozialisten, indem er Sender abhört und Nachrichten weiterleitet.

Am 1. Mai 1942 wird der Pater von den Deutschen wegen Spionageverdachts verhaftet. Seine Stationen sind zunächst das Gefängnis St. Gilles bei Brüssel, am 9. Mai wird er nach Brauweiler bei Köln transportiert, wenig später über Bochum nach Wuppertal gebracht. Im Mai 1943 wird das Gefängnis Wuppertal wegen der zunehmenden Bombenangriffe geräumt, die Gefangenen werden nach Esterwegen transportiert. Das Strafgefangenenlager Esterwegen ist die letzte Station des Paters.

Am 31. August 1943 wird Josef Raskin nach Papenburg gebracht, wo der "Volksgerichtshof" unter Vorsitz von Roland Freisler in der ehemaligen Ursulinenschule tagt.

Unter dem Kreuz, das heute in der Kapelle des Mariengymnasiums hängt, wird der Pater zum Tode verurteilt. Das Urteil wird am 18. Oktober 1943 in Dortmund vollstreckt.